Sage von der unmöglichen Burgfrau von Holdinghausen und ihre historischen Hintergründe
Was man einst zu sagen wusste und dann zu Sagen geworden ist, lässt sich in den seltensten Fällen als reine
Erfindung und Erdichtung abtun. Für den Historiker ist es immer wieder eine reizvolle Aufgabe, nachzuforschen, welche
wahren Hintergründe hinter den Geschichten stecken. Natürlich lassen sich auch Unstimmigkeiten aufdecken, so
selbstverständlich wie Unschärfen zu erwarten sind, wenn Sagen erst nach dem Hörensagen, d.h. nach einer längeren Folge
mündlicher Überlieferung ihre letztgültige Schriftfassung erhalten haben. Adolf Wurmbach hat verdienstvollerweise Ende
der Sechzigerjahre die bisher umfassendste Sammlung „Siegerländer Sagen“ herausgebracht, worin im Kaitel „Sagen aus einer
alten Mühle“ u.a. folgende merkwürdige Geschichte zu finden ist, die sich in wenigen Sätzen nacherzählen lässt: „Ein Fräulein
von der Holdinghauser Burg war durch sein burschikoses und unhöfisches Benehmen zum Schrecken des Hauses geworden. Hatte sie
doch einmal einen ihrer Knechte damit beauftragt, dem Rahrbacher Kaplan beim unerlaubten Fischen den Holdinghauser Gewässern
aufzulauern, ihm die Hose abzuziehen und ihr dieselbe auf die Burg zu bringen. Ob damit nun die Langmut derer von Holdinghausen
erschöpft gewesen oder ob sich die Dame noch schlimmere Streiche erlaubt hat – kurz und gut, sie wurde ausquartiert, und in dem
zu einem Mühlgut gehörenden Kolbs Haus in L. ihr eine Bleibe zugewiesen. Der Müller hatte sie mit Lebensmitteln, Hühnern, Gänsen
usw. wohl zu versehen. Das Ärgernis war aus dem Hause geschafft. Es scheint die Dame wenig verdrossen zu haben, denn in der
Folgezeit spielte sie mit den Bauern und Bergleuten Karten im Wirtshaus, scheute sich auch nicht, mit dem Müller die Säcke zu
tragen, denn Eitelkeit und Dünkel waren ihr fern, bis dass sie eines Tages auf und davon gewesen. Nicht lange danach ging die
Rede im Land, ihre Brüder hätten sie bei Nacht entführt und in ein nahe gelegenes Kloster gebracht.
Besagte Dame – keineswegs von der feinen Art, wie man hören muss – dürfte, und dafür spricht alles, Maria Rosina von Holdinghausen
gewesen sein. Als Erbtochter brachte sie die Burg Holdinghausen (zwischen Littfeld und Rahrbach) in ihre Ehe ein, zumal die
freiadlige Familie von Holdinghausen mit ihrem Vater Johann Dietrich Freiherr zu Holdinghausen, Herr zu Almen und Schweppenburg,
1684 im Mannesstamm erloschen war. Das heißt: Brüder hatte sie, entgegen der Aussage im letzten Satz der voranstehenden Erzählung,
nicht. Sie hatte noch eine jüngere Schwester Maria Wilhelmine Elisabeth, die nach kaum zwei Jahren als Stiftsdame in Keppel
heiratete und auf den Besitzungen in Alme bei Brilon lebte. Eine Tante väterlicherseits, Johanna Maria von Holdinghausen, war
von 1663 bis zu ihrem Tode 1685 Äbtissin in Keppel.
Der eigenwillige Charakter der auf Burg Holdinghausen beheimateten Erbtochter Maria Rosina trug dazu bei, dass sie zweimal, vor
1700 und um 1711, von ihrem Manne, Johann Philipp Freiherr von und zu der Hees, a thoro et mensa (von Bett und Tisch) getrennt
lebte. Sie war Mutter von drei Söhnen und vier Töchtern. Ein Fräulein, wie es in der Geschichte für diese Zeit heißt, war sie
also keineswegs mehr. Während ihr Mann sich in Heppenheim aufhielt, verwaltete sie allein das Holdinghauser Gut. Den
hochverschuldeten Besitz hatte sie im Jahre 1700 an die verwitwete Fürstin Ernestine Charlotte von Nassau Siegen verkauft. Da
aber bis 1704 noch nicht die für den Verkauf geforderte Summe von der Landesherrin aufgebracht und zur Befriedigung der Gläubiger
ausgezahlt worden war, hatten die Besitzer das Gut wieder an sich nehmen müssen. Bis 1717 mag sie von Littfeld aus, wo sie im Haus
eines Bauern lebte, Haus Burgholdinghausen bzw. den nahen Haupthof so wieder hergerichtet haben, dass sie dort ihren Wohnsitz
nehmen konnte. Sie ist im August 1722 auf ihrem väterlichen Erbe gestorben.
Dass sie in ein nahegelegenes Kloster – wer denkt da nicht an das Siegerländer Stift Keppel – gebracht worden sei, ist dort
allerdings nicht aktenkundig. Allenfalls von ihren Töchtern Anna Elisabeth (aufgeschworen 1692) und Ernestine Charlotte Luise
(aufgeschworen 1701) ist bekannt, dass sie sich zu dieser Zeit als Stiftsdamen in Keppel aufhielten.
Nach dem Tod von Maria Rosina 1722 nahm ihr Sohn, Anselm Franz Freiherr von und zu der Hees und Herr zu Holdinghausen (1722-1766),
die Bewirtschaftung des Gutes selbst in die Hand. Nachdem dessen einziger Erbsohn Lothar (1722-1765) kinderlos gestorben war,
ging der Besitz an den Schwiegersohn seiner ältesten Tochter Maria Charlotte (geb. 1723), einem Geheimrat an der kurkölnischen
Hofkammer, Johann Franz Wilhelm Spies Freiherr von Büllesheim zu Allner, bzw. auf den Nachfolger, den Sohn Anselm Spies von
Büllesheim zu Torp über. 1785 kam das Gut an den Hauptgläubiger Moritz von Brabeck, ein Jahr später kaufte es der Freiherr zu
Fürstenberg zu Herdringen, zu dessen Besitz Holdinghausen noch bis ins 20. Jahrhundert gehörte.
Was aber hatte es nun mit dem Rahrbacher Pastor auf sich? Hinsichtlich der Zeitstellung kommt nur Henricus Spickermann in Frage.
Dieser stammte aus Heinsberg und hatte am 13. März 1698 seine Pfarrstelle in Rahrbach angetreten, wo er 35 Jahre bis an sein
Lebensende als Seelsorger tätig blieb. Es ist aktenkundig, dass sich eben dieser katholische Priester Spickermann am 2. September
1705 beim reformierten nassauischen Fürsten darüber beschwerte, dass Maria Rosina von der Hees vom Gut Holdinghausen ihn in seiner
Privatfischerei gegen alles Recht störe „und hat selbige 24 Reichsthaler versprochen, wenn sie mir die „Buchs“ (=Hose) ausziehen
und der Frawe von Holdinghausen liefern thäten“. Der Pastor bemerkte, dass “ja Krieg und Unheil entstehen könnte, wenn Ew.
Hochfürstliche Durchlaucht zulassen würden, dass der Unterthanen mit Wehr und Waffen ins Kölnische Territorium einfallen und
darin curkölnische Pastores ärgerlicher Weiß bis aufs Hemd nackend ausziehen thäten“. In einer zweiten Eingabe vom 5. September
1705 schreibt Spickermann, die Frau von Holdinghausen habe gestern zu Littfeld gesagt: „Ihre hochfürstliche Durchlaucht hätten
mich sambt gemelter meiner demüthigsten Klag ausgelacht und verspottet, und sie hätte Erlaubnis vom Richter aus Ferndorf zwar
nicht schriftlich, aber doch mündlich (quod tamen non credo), die Nassauischen Unterthanen zu bestellen, dass sie mir auflauern
und Arm und Bein entzwei schlagen sollten und sie selbsten, wenn sie mich ertappen könnte, wollte ein Pistoll nehmen und mich
eigenhändig erschießen usw. Diesem ohnangesehn kann ich leichtlich erachten, dass Ew. hochfürstliche Durchlaucht über die
kurzweilige Anschläge dieses Weibs zwar werden gelacht haben, indem sie mir die Buchs hat wollen lassen ausziehen, dass aber
Euer hochfürstlicher Durchlaucht die Tatsache als solche für lächerlich gehalten haben, vermeine ich nicht.“
Aus der Rahrbacher Pfarrchronik ist zu erfahren: „Spickermanns Art, sich für die Gerechtigkeit zu engagieren, geriet ihm zum
Verhängnis. So stritt er ganz im Sinne der Kruberger Bauern für deren Fischereirechte gegen die Freifrau (Maria Rosina) von der
Hees zu Burgholdinghausen. Der Richer-Sprich indes fiel zu ihren Gunsten aus. Die Freifrau schmiede Mordpläne (!) gegen ihn,
glaubte er. Deshalb nahm ihn der Kölner Kurfürst Erzbischof Josef Clemens von Bayern (1688-1723) in Neuss in Schutzhaft. Derweil
Spickermann in seinem Verließ so darbte, hörte er, wie ein Soldat ein Lied pfiff, welches er verfasst hatte. Spickermann rief
ihn an das Gitter seiner Zelle, erfuhr, dass der Soldat aus Rahrbach war, und gab sich ihm als Pastor von Rahrbach zu erkennen.
Eilig wurde ein Bittgesuch an den Kurfürsten verfasst. Bestürzt soll dieser bemerkt haben: „Mein Gott, sitzt der Mann immer noch?
Lasst ihn sofort frei!“